Aufklärung in Praxen unzureichend
Zwei Beispiele aus der Orthopädie zeigen: Individuelle Gesundheitsleistungen können auch schaden

Jedes Jahr geben gesetzlich Versicherte mindestens 2,4 Milliarden Euro für Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) aus. Diese werden von den Kassen nicht übernommen. Knapp 400 Millionen Euro davon fließen allein in orthopädische Leistungen. Das wissenschaftliche Team, das jedes Jahr den sogenannten IGeL-Monitor erstellt, hat zwei der weit verbreiteten IGeL-Leistungen im Bereich der Orthopädie bewertet.
Hyaluronsäure-Injektionen bei Knie- und Hüftgelenksarthrosen gehören zu den häufig angebotenen IGeL-Leistungen im Bereich der Orthopädie. Bei der Arthrose handelt es sich um eine degenerative Erkrankung der Gelenke, bei der Knorpelmasse abgebaut wird. Dies verursacht Schmerzen und verringert die Beweglichkeit. Die Hyaluronsäure-Injektionen erfolgen direkt in das betroffene Gelenk und sollen die Folgen dieses Knorpelabbaus abmildern, indem sie die fehlende Gelenkflüssigkeit durch Hyaluronsäure ersetzen. Die Idee dahinter: Damit soll die Gleitfähigkeit des Knorpels verbessert und die damit verbundenen Beschwerden vermindert werden.
Kein Nutzen
„Bei der Auswertung der Studien zu Hyaluronsäure-Injektionen bei Hüft- und Kniegelenksarthrosen zeigt sich, dass der Schaden den Nutzen überwiegt“, sagt Dr. Stefan Lange, Bereichsleiter Evidenzbasierte Medizin beim Medizinischen Dienst Bund. „Das Risiko für unerwünschte Ereignisse ist deutlich erhöht. Die damit verbundene Schmerzreduktion ist so minimal, dass sie klinisch nicht von Bedeutung ist.“
Unter schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen versteht man Risiken, die durch einen medizinischen Eingriff verursacht werden können, die mit erheblichen Folgen für die Patientinnen und Patienten verbunden sind. Dazu zählen beispielsweise Gelenkentzündungen oder Herzbeschwerden. Deshalb wurden Hyaluronsäure-Injektionen bei Knie- und Hüftgelenksarthrose vom IgeL-Monitor mit „negativ“ bewertet.
Zweites Beispiel Kalkschulter. Dabei handelt es sich um eine schmerzhafte Veränderung der Sehnen im Schultergelenk, die durch Kalkablagerungen verursacht wird. Die Patientinnen und Patienten leiden unter Schmerzen und einer verringerten Beweglichkeit. Der sogenannte Tennisarm ist eine schmerzhafte Sehnenerkrankung im Unterarmstreckmuskel.
Das wissenschaftliche Team des IGeL-Monitors konnte nur wenige aussagefähige Studien zum Einsatz der Stoßwellentherapie in diesen beiden Fällen finden. Zum Teil kamen die Studien zu widersprüchlichen Ergebnissen zum Nutzen und Schaden der Extrakorporalen Stoßwellentherapie. In der Gesamtschau fielen die Bewertungen bei beiden Therapien mit „unklar“ aus.
Wenig Bedenkzeit
„Die jüngsten Bewertungsergebnisse des IGeL-Monitors zeigen erneut, dass viele IGeL-Leistungen nicht halten, was sie versprechen: Viele Selbstzahlerleistungen schaden mehr als sie nützen“, sagt Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Bund. „Uns besorgt, dass die Patientinnen und Patienten in den ärztlichen Praxen oftmals nicht über das Schadensrisiko aufgeklärt werden.“ Deshalb sollten die Praxen verpflichtet werden, unabhängig erstellte wissenschaftsbasierte Bewertungen und Informationen regelhaft anzubieten. Darüber hinaus sollten IGeL-Leistungen nicht an dem Tag erbracht werden dürfen, an dem sie angeboten werden, so der Experte.
Das Wissenschaftsteam des IGeL-Monitors bewertet seit über zehn Jahren den Nutzen und Schaden von IGeL-Leistungen und bereitet die Informationen für die Versicherten verständlich auf. Ziel ist es, Patientinnen und Patienten eine wissenschaftsbasierte Entscheidungshilfe für oder gegen den Kauf einer IGeL-Leistung anbieten zu können.
Ergebnis oft negativ
Der IGeL-Monitor hat aktuell 60 solcher Selbstzahlerleistungen bewertet. 31 Leistungen davon wurden entweder mit „tendenziell negativ“ oder „negativ“ eingestuft. 26 haben das Ergebnis „unklar“, das heißt, für ihren Nutzen gibt es meistens keinen ausreichenden Beleg. Mit „tendenziell positiv“ schneiden lediglich drei IGeL-Leistungen ab. Keine Leistung konnte mit „positiv“ bewertet werden. Mehr unter