
Neufeststellungsantrag und Risiko der Herabsetzung
Serie zum GdB: Teil 2
Wenn die Einschränkungen durch eine Behinderung oder eine chronische Erkrankung größer werden, kann sich für die Betroffenen ein Neufeststellungsantrag (Verschlechterungsantrag) lohnen. Aber Achtung: Der Grad der Behinderung (GdBkurz fürGrad der Behinderung) kann auch herabgesetzt werden.

Im zweiten Teil unserer Serie erklären wir, was bei einer Neufeststellung des GdBkurz fürGrad der Behinderung zu beachten ist und wann eine Herabsetzung vorgenommen wird.
Silke Pesch (Name von der Redaktion geändert) hat Multiple Sklerose und kann sich fast nur noch im Rollstuhl fortbewegen. Bisher hatte sie einen GdBkurz fürGrad der Behinderung von 30. Nun überlegt sie, diesen neu feststellen zu lassen, um den GdBkurz fürGrad der Behinderung von 50 zu bekommen. Damit würde sie als schwerbehindert gelten und bekäme weitere Nachteilsausgleiche, die ihr die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erleichtern sollen. Ihr Fall scheint erfolgversprechend zu sein. Doch lohnt sich bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustands immer ein Antrag auf Neufeststellung des GdBkurz fürGrad der Behinderung?
Chancen und Risiken
„Es kommt darauf an“, sagt Carsten Bandtel, Sozialrechtsreferent der VdK Sozialrechtsschutz gGmbH in Stuttgart. „Ein Neufeststellungsantrag bringt Chancen, birgt aber auch Risiken“, erklärt der VdK-Experte. Denn bei jedem Verfahren wird der komplette Gesundheitszustand der Patientin oder des Patienten erneut unter die Lupe genommen. Stellt dabei ein Gutachter in bestimmten Bereichen eine Verbesserung fest, wie zum Beispiel nach einer erfolgreichen Knie- oder Hüftoperation, kann es auch zu einer Herabstufung kommen.
Bandtel empfiehlt jedem Betroffenen, sich beim Sozialverband VdK beraten zu lassen. Denn es kommt auf den Einzelfall und den jeweiligen Gesundheitszustand an.
Ein erstes wichtiges Indiz, dass ein neuer Antrag erfolgreich sein könnte, ist die Meinung des behandelnden Arztes. Dieser kennt die gesundheitliche Entwicklung des Patienten am besten und sieht, ob sich der Gesamtzustand merklich so verschlechtert hat, dass ein höherer GdBkurz fürGrad der Behinderung oder zusätzliche Merkzeichen möglich sind. Wenn der Arzt einen Antrag empfiehlt, sollte der Betroffene sich aber trotzdem noch einige Fragen stellen, wie Bandtel erläutert: „In welcher Ausgangssituation befinde ich mich? Welches Ziel habe ich? Was bringt mir das?“
Vorteile
Ziele können ein höherer GdBkurz fürGrad der Behinderung und/oder zusätzliche Merkzeichen sein. Damit sind verschiedene Nachteilsausgleiche verbunden, die Patienten den Alltag erleichtern sollen. So ist der Schritt zu einem GdBkurz fürGrad der Behinderung von 50 eine wichtige Hürde. Erleichterungen, wie zum Beispiel ein besserer Kündigungsschutz, zusätzlicher Urlaub und ein früherer Rentenbeginn, wären die Folge. Außerdem bekommen die Betroffenen einen Schwerbehindertenausweis. Er dient dem Nachweis der Schwerbehinderung und wird benötigt, um bestimmte Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen zu können. Auch gibt es teilweise Rabatte und Ermäßigungen auf freiwilliger Basis, wenn man den Schwerbehindertenausweis vorzeigt.
Nachteile
Wer bereits einen GdBkurz fürGrad der Behinderung von 50 oder mehr hat, kann mit einem Neufeststellungsantrag auch viel verlieren. So rät Bandtel Frauen und Männern, die kurz vor der Altersrente für Schwerbehinderte stehen, mit dem Antrag so lange zu warten, bis der Ruhestand begonnen hat. Umgekehrt sollten diejenigen, die ebenfalls diese Altersrente anstreben und denen eine Verringerung des GdBkurz fürGrad der Behinderung unter 50 droht, ein Verfahren so lange wie möglich hinauszögern. Denn hat die Rente erst einmal begonnen, ändert sich daran nichts mehr.
Herabsetzung
Der GdBkurz fürGrad der Behinderung kann herabgesetzt werden, wenn
- eine Veränderung der Gesundheitsstörung eingetreten ist (z. B. wenn die Auswirkungen auf das tägliche Leben nach einer Operation oder aufgrund eines neuen Medikaments geringer geworden sind)
- Gesundheitsstörungen weggefallen sind, eine sogenannte Heilungsbewährung eingetreten ist
- sich die gesetzlichen Regelungen geändert haben.
Die Änderung des Gesundheitszustands muss voraussichtlich länger als sechs Monate anhalten. Und: Der GdBkurz fürGrad der Behinderung darf nicht rückwirkend herabgesetzt werden. Eine Herabsetzung für die Zukunft darf aber auch noch Jahre nach einer wesentlichen Veränderung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen durchgeführt werden. Dies ist auch dann möglich, wenn ein unbefristeter Schwerbehindertenausweis ausgestellt wurde.
Heilungsbewährung
Am häufigsten wird der GdBkurz fürGrad der Behinderung nach einer sogenannten Heilungsbewährung herabgesetzt. Als Heilungsbewährung wird der Zeitraum nach der Behandlung einer Krankheit bezeichnet, in dem der Behandlungserfolg erst abzuwarten ist, da die Möglichkeit eines Rückfalls besteht oder der Behandlungserfolg noch nicht mit Sicherheit eingeschätzt werden kann.
Die Heilungsbewährung dauert grundsätzlich fünf Jahre. In einigen Fällen (z. B. bei Organtransplantationen und nach der Entfernung bösartiger Tumore im Frühstadium) beträgt die Heilungsbewährung nur zwei Jahre.
Die Heilungsbewährung beginnt mit der Entfernung der Geschwulst und endet nur bei einem positiven Verlauf der Erkrankung. Treten also beispielsweise bei einer Krebserkrankung Rezidive oder Metastasen auf, bleibt der hohe GdBkurz fürGrad der Behinderung bestehen.
Anhörungsschreiben
Was ist zu beachten, wenn eine Herabsetzung des GdBkurz fürGrad der Behinderung angekündigt wird? Das Versorgungsamt schickt zunächst ein Anhörungsschreiben zu, in dem mitgeteilt wird, dass eine Nachprüfung und eine anschließende Herabsetzung des GdBkurz fürGrad der Behinderung beabsichtigt sind. Betroffene haben dann vier Wochen Zeit, sich schriftlich oder telefonisch gegenüber der Behörde zu der beabsichtigten Herabsetzung zu äußern. Dabei ist es wichtig, die verbliebenen Funktionsbeeinträchtigungen oder gegebenenfalls neue Erkrankungen darzulegen und möglichst durch ärztliche Befundberichte zu untermauern.
Hatte die Behandlung außergewöhnliche Folgen und Begleiterscheinungen, wie beispielsweise lang andauernde schwere Auswirkungen einer wiederholten Chemotherapie, müssen diese gegebenenfalls zusätzlich vom Versorgungsamt berücksichtigt werden.
Solange kein neuer Bescheid ergangen ist, gilt der GdBkurz fürGrad der Behinderung weiter, selbst dann, wenn der Schwerbehindertenausweis bereits abgelaufen ist. Auch während eines laufenden Widerspruchs- oder Klageverfahrens, das heißt, wenn gegen den Herabsetzungsbescheid Rechtsmittel eingelegt wurden, können Betroffene den ursprünglichen GdBkurz fürGrad der Behinderung noch für eine geraume Zeit behalten.
Schutzfrist
Wird der Status als schwerbehinderter Mensch schließlich doch rechtskräftig aberkannt, bleibt der Schwerbehindertenausweis und der Schutz eines Schwerbehinderten bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Abschluss des Verfahrens erhalten. Das heißt beispielsweise: Betroffene erhalten dann für jeden vollen Monat, in dem der Schwerbehindertenstatus fortbesteht, anteiligen Zusatzurlaub. Erst wenn der gesetzliche Schutz erloschen ist, wird der Schwerbehindertenausweis eingezogen.
Serie zum GdB
Mit dem Grad der Behinderung (GdB) wird ermittelt, welche Nachteilsausgleiche betroffenen Menschen zustehen.
Die Serie umfasst folgende Artikel:
Teil 1: Allgemeines und rechtlicher Rahmen
Teil 2: Neufeststellungsantrag und Risiko der Herabsetzung
Teil 3: Chronische und seelische Erkrankungen
Teil 4: Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen
Teil 5: Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen