Kategorie VdK-Zeitung Behinderung

Wo ist die nächste barrierefreie Toilette?

Von: Interview Ruth Seyboth-Kurth

Seit 13 Jahren ermöglicht die App HandicapX Nutzern, barrierefreie Toiletten mit der Leichtigkeit eines Tastendrucks zu finden. Mittlerweile wird sie von vielen Menschen mit Behinderungen genutzt. Sie sorgt für mehr Sicherheit und Lebensqualität im Alltag. Aktuell sind rund 24.000 „Klohäuschen“ in der App gelistet – und täglich werden es mehr. Wir haben mit Alexander Will, dem Geschäftsführer und Gründer der HandicapX GmbH, gesprochen.

Das Schaubild zeigt mehrere Smartphones mit unterschiedlichen Ansichten der HandicapX App.
Über die Standortfunktion werden die nächsten Klohäuschen angezeigt. © HandicapX GmbH

Was ist die Schlüsselfunktion der HandicapX-App, Herr Will?

Die App ermöglicht es ihren Nutzerinnen und Nutzern, jederzeit eine für ihre Bedürfnisse passende barrierefreie Toilette zu finden. Darunter fallen barrierefreie Toiletten mit Euroschlüssel, öffentliche und solche in der Nähe.

Können Sie uns erzählen, wie die App entstanden ist? Welche Idee steht hinter der Entwicklung dieser Anwendung?

HandicapX war damals schon als Informationsportal für Menschen mit Behinderung online. Zu unserem Freundeskreis zählten viele Leute, die Behinderungen und Mobilitätseinschränkungen haben. Wenn wir uns als Team in Hamburg auf der Schanze oder auf der Reeperbahn trafen, standen wir immer wieder vor dem gleichen Problem: Wie finden wir jetzt eine barrierefreie Toilette? In unserer Verzweiflung haben wir uns einmal sogar an zwei Polizisten gewandt, die dann selbst auf der Davidwache per Funk nachfragen mussten. Das „Lustige“ daran war: Wir standen praktisch direkt vor einer barrierefreien Toilette, ohne es zu wissen.

So haben wir uns die Frage gestellt: Wie kann es sein, dass es im 21. Jahrhundert noch keine geeignete Technologie gibt, Menschen mit Behinderungen das Suchen und Finden barrierefreier Toiletten, also einem Grundbedürfnis, zu erleichtern? Ein Buch zu drucken und jemanden damit loszuschicken, hätte schon im 15. Jahrhundert funktioniert. Wir wollten aber moderne Technologien einsetzen. Also haben wir Videos zur iOS-Entwicklung angeschaut, eine Datenbank aufgebaut und einfach losgelegt. Sechs Monate später konnten wir im September 2011 die erste iOS-Version der HandicapX App präsentieren.

Wie funktioniert die App beziehungsweise wie erhalten Sie die Informationen zu barrierefreien Toiletten?

Die Grundidee besteht darin, dass Betroffene sich gegenseitig unterstützen, indem sie Informationen zu barrierefreien Toiletten über die App teilen. Denn wer könnte ein größeres Interesse daran haben, anderen einen Tipp zu geben als diejenigen, die selbst betroffen sind und die Information gerne teilen: „Hey, hier habe ich eine großartige Toilette gefunden.“ So erhalten wir als Entwickler mittlerweile den Großteil unserer Informationen über die Nutzerinnen und Nutzer der HandicapX-App. Darüber hinaus melden sich mittlerweile auch Städte und Gemeinden und lassen uns ihre Listen zukommen. Aber auch unsere Redaktion recherchiert immer fleißig neue Standorte.

Bild von Alexander Wills
Über HandicapX können Nutzer ihre Erfahrungen teilen. Das war die Idee von Alexander Wills Team für die Entwicklung der Software. © HandicapX GmbH

Was sind neben der Eigen­recherche die Hauptaufgaben Ihrer Redaktion?

Unsere speziell für die HandicapX-App eingerichtete Redaktion überprüft alle gemeldeten Informationen und Aktualisierungen, korrigiert sie gegebenenfalls und tätigt Nachrecherchen. Denn nur so können wir eine gewisse Datensicherheit gewährleisten. Gleichzeitig möchten wir den Nutzern eventuelle Ängste nehmen, uns neue Standorte zu melden. Es besteht so immer die Gewissheit, dass sich stets jemand die gemeldeten Daten sorgfältig anschaut.

In welcher Form läuft eine Meldung bei Ihnen ein und was müssen Sie dann tun? Nennen Sie uns ein Beispiel.

In der Beschreibung einer neu gemeldeten barrierefreien Toilette steht beispielsweise: „Nur zwei Stufen im Eingangsbereich.“ Doch was für den einen machbar scheint, stellt für den anderen möglicherweise eine unüberwindbare Barriere dar. Im Sinne der Barrierefreiheit wird ein solcher Eintrag von unserer Redaktion gelöscht.

Wie finanziert sich die App?

Die Finanzierung der HandicapX-App erfolgt eigenständig und unabhängig. Wir sind weder mit einem Pharma- oder Gesundheitsriesen verbunden, noch sind wir von Sponsoren oder Werbung abhängig. Auch sind wir kein gemeinnütziger Verein. Die App basiert grundsätzlich auf einer kostenpflichtigen Struktur und finanziert sich ausschließlich durch den Verkauf sowie Einnahmen aus Abonnements. Diese Finanzierungsstruktur ermöglicht es uns, die App kontinuierlich und unabhängig weiterzuentwickeln und zu warten sowie eine redaktionelle Datenprüfung und unseren Support zu gewährleisten. Perspektivisch planen wir, die Android-Version sowohl im Funktionsumfang als auch im Abonnementmodell an die iOS-Version anzupassen.

Wie hat sich die App seit ihrer Einführung entwickelt und welche Rückmeldung erhalten Sie von Nutzerinnen und Nutzern?

Die ständige Weiterentwicklung basiert maßgeblich auf dem kontinuierlichen Feedback unserer Nutzer. Durch diese wertvollen Rückmeldungen haben wir beispielsweise erkannt, dass nicht jede scheinbar barrierefreie Toilette auch für Elektro-Rollstühle geeignet ist. Diese wichtige Erkenntnis haben wir unmittelbar im nächsten Update berücksichtigt. Damit ermöglichen wir es den Anwendern, jede Toilette spezifisch als E-Rollstuhl geeignet oder nicht zu kennzeichnen.

Was planen Sie Neues? Wie könnte die nächste Entwicklungsstufe der HandicapX-App aussehen?

Unser Fokus liegt weiterhin auf dem Thema „Barrierefreie Toiletten“, und wir streben an, uns als ausgewiesene Experten auf diesem Gebiet weiter zu etablieren. Wir möchten unser Netzwerk mit dem Charakter „Betroffene helfen Betroffenen“ stärken und die HandicapX-App auch Menschen mit Behinderungen in anderen Ländern zugänglich zu machen. Denn auch wenn man international reist, braucht man Infos zu barrierefreien Toiletten.

Die Weiterentwicklung hängt jedoch stark von der finanziellen Situation ab. Perspektivisch könnte man auch für die HandicapX-App eine Zulassung als Hilfsmittel anstreben, sodass Nutzer die App auf Rezept erhalten können. Leider sind die derzeitigen Kosten für eine derartige Zulassung für uns, ohne einen potenziellen Investor, nicht zu stemmen.

Was meinen Sie: Inwiefern hat die HandicapX-App das Leben ihrer Nutzerinnen und Nutzer verändert?

Ich glaube, dass das die Feedbacks unserer Nutzer am besten beantworten: „Lebensqualität. Erleichtert meine Planungen. Ich bin dadurch sicherer“; „mit dieser App bin ich viel spontaner und stressfreier unterwegs!“; „mit echtem Sicherheitsgefühl“; „das schafft so viel Lebensqualität!“.

Lebensqualität und Sicherheitsgefühl – welche App kann das schon seinen Nutzern bieten? Die Reaktionen unserer Nutzerinnen und Nutzer spornen uns an und motivieren unser Team jeden Tag aufs Neue. Die Gemeinschaft der HandicapX-App-Nutzer ist einfach großartig. Ich lade jede und jeden herzlich ein, auch ein Teil dieser Gemeinschaft zu werden. Egal ob als App-Nutzer, -Entwickler oder -Unterstützer – wir freuen uns über jeden Kontakt. Frei nach dem Motto: Wenn wir es nicht machen, macht es keiner für uns.

Info

Die HandicapX-iOS-Version (Apple) bietet eine kostenfreie Variante mit begrenztem Funktionsumfang an, während die Vollversion über ein Abonnement ab 0,99 Euro pro Monat erhältlich ist. Die Android-Version der HandicapX-App kostet derzeit einmalig 2,99 Euro. Die genauen Preise können Interessierte dem jeweiligen App-Store entnehmen.
Mehr Infos zur App unter Externer Link:https://handicapx.de/handicapx-app