
Was passiert, wenn alles zu viel wird
Rechtliche Möglichkeiten bei psychischer Erkrankung – Teil 1
Überall ist zu lesen und zu hören, dass Menschen weniger arbeiten, auf ihre Work-Life-Balance achten, sich gesünder ernähren und überhaupt gesünder leben. Dennoch steigt jährlich die Zahl der psychisch erkrankten Menschen, so auch in Sachsen-Anhalt. Burnout, Angst- und Anpassungsstörungen, Depressionen sind die Hauptursachen, woran Menschen immer häufiger erkranken.

Die ersten Schwierigkeiten, die mit psychischen Krankheiten verbunden sind, bestehen darin, die Symptome rechtzeitig zu erkennen, die Entscheidung zu treffen, sich medizinisch Hilfe zu holen, einen guten Facharzt sowie die richtige Therapie für sich zu finden. Wenn noch vor etwa fünf Jahren die medizinischen Gründe für sozialrechtliche Beratungen kardiologische, onkologische oder orthopädische waren, nimmt die Anzahl der psychisch erkrankten Hilfesuchenden stetig zu und dies in allen Rechtsbereichen.
Psychosomatische Rehabilitationen werden nicht genehmigt, Erwerbsminderungsrentenanträge oder berufsbedingte psychische Erkrankungen als Berufskrankheit abgelehnt. Neben der Sorge um die eigene Gesundheit, kommen Existenzängste hinzu – ein Teufelskreis für viele.
Welche Rechtsansprüche haben Menschen mit psychischen Erkrankungen? Dieser Artikel gibt einen ersten Überblick.
Therapie vor Reha
Im Sozialrecht existieren, unabhängig von der Art der Erkrankung, wenig feste Grundsätze. Ein Grundsatz jedoch lautet: Therapie vor Reha und Reha vor Rente. Ein Versicherter, der bei einer psychischen Erkrankung mit einem Reha- oder Rentenantrag beginnt, wird seinen Antrag grundsätzlich nicht genehmigt bekommen, da eine vorherige Therapie Anspruchsvoraussetzung ist.
Für die meisten unserer Mitglieder beginnt ihr persönlicher Leidensweg mit einer Arbeitsunfähigkeit. Eines Tages geht plötzlich nichts mehr. Aus einigen Krankentagen werden mehrere Wochen. Etwas später werden die Abstände zwischen den Erkrankungen immer kürzer und die Arbeitsunfähigkeitszeiten immer länger. In den ersten sechs Wochen erhalten Sozialversicherte die Entgeltfortzahlung (der Lohn wird ungekürzt weitergezahlt), anschließend wird seitens der Krankenkasse für maximal weitere 72 Wochen ein sogenanntes Krankengeld gezahlt (70 Prozent des Bruttoverdienstes).
Sollte der Versicherte nach Ablauf der insgesamt 78 Wochen immer noch arbeitsunfähig sein, hat er aufgrund der sogenannten Nahtlosigkeitsregelung einen Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Eigentlich setzt der Anspruch auf Arbeitslosigkeit voraus, dass der Versicherte noch mindestens 15 Stunden in der Woche arbeiten kann. Diese Regelung stellt eine Ausnahme hiervon dar, weil die Sozialversicherungsträger oft Monate benötigen, um zu entscheiden, welches konkrete Restleistungsvermögen der Versicherte besitzt. Um in dieser Phase der Entscheidungsfindung nicht ohne Einkommen dazustehen, wird trotz Erkrankung und, selbst wenn noch ein Arbeitsverhältnis besteht, Arbeitslosengeld gewährt.
Rechtzeitig zum Arzt
Wichtig ist in dieser Zeit, sich möglichst frühzeitig in Fachärztliche Behandlung zu begeben. Richtiger Ansprechpartner ist der Facharzt oder die Fachärztin für Psychiatrie, nicht zu verwechseln mit dem Beruf des Psychologen. Psychiater sind Ärzte und Psychologen sind Therapeuten, die in der Regel ein abgeschlossenes Psychologiestudium haben.
Für die meisten sozialrechtlichen Ansprüche (Feststellung einer Behinderung, Erwerbsminderungsrente, Feststellung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit durch eine Berufsgenossenschaft usw.) ist es nicht ausreichend, sich „nur“ einer Psychotherapie zu unterziehen und schon gar nicht, nur zu seinem Hausarzt zu gehen, sondern es wird eine fachärztliche Behandlung vorausgesetzt.
Bei stärker ausgeprägten psychischen Erkrankungen gibt es auch die Möglichkeit, für mehrere Wochen voll- oder teilstationäre Therapien in Kliniken zu absolvieren, die normalerweise von den Krankenkassen bezahlt werden.
Reha vor Rente
Soweit über mehrere Monate eine psychosomatische Behandlung stattgefunden hat, erfolgt meistens der Antrag einer psychosomatischen Reha bei der Rentenversicherung. Grundvoraussetzung neben der Erkrankung ist unter anderem, dass der Versicherte in den letzten zwei Jahren Pflichtbeiträge für mindestens sechs Monate gezahlt hat. Die Rentenversicherungsträger sind zuständig, soweit es um den Erhalt und die Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit geht.
Neben der Möglichkeit einer medizinischen Reha besteht auch die Möglichkeit einer sogenannten Rehabilitation für psychisch erkrankte Menschen, kurz RPK-Maßnahme. Dabei werden über mehrere Wochen in speziellen RPK-Rehaeinrichtungen medizinische und berufliche Aspekte getestet, um dann am Ende mit dem Versicherten gemeinsam weitere berufliche Perspektiven zu besprechen. Mögliche Folge könnte eine Umschulung oder eine Qualifizierung sein. Dies sollte insbesondere von Versicherten aufgegriffen werden, die davon ausgehen, zwar in ihrer bisherigen Tätigkeit nicht mehr arbeiten zu können, aber in anderen, aber in anderen Bereichen durchaus noch leistungsfähig zu sein.
Sollte weder eine medizinische noch „berufliche“ Reha zum Erfolg führen und die Fachklinik oder -einrichtung zu dem Ergebnis gelangen, dass ein Versicherter keiner Erwerbsfähigkeit mehr nachgehen kann, wird meist eine Erwerbsminderungsrente zuerkannt.
Serie „Erwerbsminderungsrente bei psychischer Erkrankung“
Die Serie „Rechtliche Möglichkeiten bei psychischer Erkrankung“ umfasst folgende Artikel:
Teil 1: Was passiert, wenn alles zu viel wird (siehe VdK-Zeitung Oktober 2024)
Teil 2: Reha oder EM-Rentekurz fürErwerbsminderungsrente? Kein Entweder-Oder! (siehe VdK-Zeitung November 2024)
Teil 3: Die Altersrente für schwerbehinderte Menschen (siehe VdK-Zeitung Dezember 2024)