BSG verwehrt Pflegegrad 5 trotz schwerer Beeinträchtigungen
Gericht erkennt keine besondere Bedarfskonstellation bei VdK-Mitglied mit angeborener Verkürzung von Armen und Beinen
VdK kämpfte bis vor das Bundessozialgericht
Bis vor dem Bundessozialgericht (BSGkurz fürBundessozialgericht) hat der VdK für die Anerkennung des Pflegegrads 5 für sein Mitglied Uwe Adamczyk gekämpft. Am Ende erfolglos, denn dem 62-Jährigen wurde unter anderem zum Verhängnis, dass er im Laufe der Jahre gelernt hat, seine schwere Behinderung zum Teil zu kompensieren (Aktenzeichen: B 3 P 1/22 R).
Uwe Adamczyk hat eine angeborene Verkürzung der Arme und Beine. Er kann weder gehen, stehen noch greifen. Weil der 62-Jährige aus Zwickau bei alltäglichen Handlungen zunehmend auf Unterstützung angewiesen ist, hatte er bei seiner Krankenkasse eine Höherstufung seines Pflegegrads von 2 auf 5 beantragt.
Doch dieser wurde lediglich auf 3 angehoben. Einen Anspruch auf Pflegegrad 5 lehnte die Krankenkasse ab. Sie sah keine besondere Bedarfskonstellation bei ihm gegeben.
Besondere Bedarfskonstellation
Eine besondere Bedarfskonstellation nach § 15 Absatz 4 SGBkurz fürSozialgesetzbuch XI kann dann zum Tragen kommen, wenn bei der Berechnung über die reguläre Pflegegrad-Systematik der Wert von 90 Punkten für einen Pflegegrad 5 nicht erreicht wird – zum Beispiel weil, wie bei Uwe Adamczyk, keine kognitive Beeinträchtigung vorliegt.
Die Voraussetzung für diese Bedarfskonstellation ist in einer Richtlinie festgelegt, die der Spitzenverband Bund der Pflegekassen beziehungsweise der Medizinische Dienst Bund formuliert hat: Sie liegt vor, wenn ein vollständiger Verlust der Greif-, der Steh- und Gehfunktion festgestellt ist.
Landessozialgericht wies die Klage ab
Weil das nach seiner Auffassung bei ihm der Fall ist, klagte Uwe Adamczyk, unterstützt vom VdK Sachsen, gegen die Ablehnung seiner Krankenkasse zunächst vor dem Sozialgericht Chemnitz und ging danach gegen das ablehnende Urteil vor dem Landesozialgericht (LSG) in Berufung.
Das LSG wies die Klage ab, weil sich der Kläger Kompensationsmechanismen angeeignet habe, um die vollständige Gebrauchsunfähigkeit der Hände zu umgehen. Dadurch lägen die Voraussetzungen nicht mehr vor. Dazu verwies das Gericht auf ein Pflegegutachten, das erstellt worden war. Darin wird eine Vielzahl von Handlungen aufgeführt, mit denen Adamczyk im Alltag seine schwere Behinderung angeblich zu kompensieren gelernt hat.
Tatsächlich hat er aus der Not heraus und mit großer Anstrengung beispielsweise gelernt, sich eigenständig einzukleiden, indem er in weit geschnittene Kleidungsstücke schlüpft. Und um Besteck nutzen zu können, befestigt er die Gabel mit einem Gummiband an seinem Armstumpf. Doch aus der Darstellung dieser Handlungen in dem Pflegegutachten entsteht der Eindruck, dass er wesentlich selbstständiger ist, als das tatsächlich der Fall ist. „Ich kann bis heute nicht nachvollziehen, wie das Gutachten zu solchen Feststellungen kommen konnte. Ich finde mich in dem Gutachten einfach nicht wieder“
, sagt Adamczyk.
Revision beim Bundessozialgericht
Dem VdK gelang es, dass seine Revision gegen das Gerichtsurteil beim Bundessozialgericht (BSGkurz fürBundessozialgericht) zugelassen wurde. Das Gericht blieb allerdings im Ergebnis bei der Ablehnung. Adamczyk und der kommissarische Leiter der Bundesrechtsabteilung des VdK Deutschland, Holger Lange, werten die Zulassung zur Revision vor dem BSGkurz fürBundessozialgericht als juristischen Teilerfolg. Denn nur rund jede zehnte Revision wird zugelassen.
Mit der Entscheidung hadert Adamczyk allerdings. Er hatte sich erhofft, dass die besondere Bedarfskonstellation in der Richtlinie weit zu verstehen ist und bedarfsorientiert für weitere vergleichbare Fallkonstellationen angewendet werden kann. „Darum ging es mir von Anfang an. In der Auslegung der gültigen Richtlinie werde ich dafür bestraft, dass ich versuche, meinen Alltag zu meistern“
, sagt Uwe Adamczyk.
Holger Lange kritisiert, dass die Formulierung der Richtlinie weitgehend den Interessenvertretungen der Pflegekassen überlassen wurde: „In diesen grundlegenden Bereichen muss der Gesetzgeber konkretere Regelungen zugunsten der Pflegebedürftigen selbst treffen.“